Hoffnungsbilder vom Frieden. Frühe und aktuelle Utopien

Träger: Kulturhorizonte e.V. 

Mitträger: Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen, Forum für Bildung und Analyse e.V.

Förderer: Fachdienst Kultur

Kooperationspartner: Ausländerbeirat Marburg, verschiedene Migrantenvereine


Bildungsveranstaltung am:    Teil 1 - 14.05.2022         und       Teil 2 - 11.06.2022

in (Ort und Tagungsstätte):   Marburg, Kerner, Pfarrhof                Marburg, Schülerpark                   


zum Thema:     „Hoffnungsbilder vom Frieden. Frühe und aktuelle Utopien.“ 

Teil 1: Von sozialen Ideen des Franz von Assisi, Menschenrechten bis 

zur Reise des Thomas Morus zur Insel Utopia        

1. Zielgruppe: Politisch interessierte und engagierte Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die Teilnehmer bedankten sich dafür, dass es in der Nach-Corona-Zeit wieder Live-Vorträge über ein kulturpolitisches Thema gäbe.


2. Lernziel: Information und Aufklärung, Diskussion über den Wandel der Utopien zum guten Leben – im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit.


Darstellung der Inhalte und Methoden sowie kritische Beurteilung des Seminars durch den/die Seminarleiter/in:


Der Vortrag von Dr. Ilina Fach über „Franz von Assisi, die Menschenrechte“ gliederte sich in drei Teile: 

1. Biographie von Franz von Assisi, 

2. Gleichheitsvorstellung von Meister Eckhart, 

3. Menschenrechtsvorstellungen der Bauern und Handwerker im 15./16. Jahrhundert, dargestellt jeweils an bildender Kunst. 

Aus der Biographie und den Äußerungen von Franziskus ging dessen Haltung hervor: 

1. Gleichheit und Frieden durch Verzicht auf Besitzanhäufung, 

2. Freiheit durch Mitgefühl, Zuwendung und Dankbarkeit, 

3. Demut durch Anerkennung von Menschen gleich welchen Standes, 

4. Liebe durch Engagement und Fürsorge und daraus resultierende Hoffnung, 

5. sich einsetzen gegen Ungerechtigkeit und Unfreiheit, 

6. direkte Gespräche zwischen Konfliktparteien, dargestellt am Besuch des Franziskus beim ägyptischen Sultan Al Kamil und dem Streit zwischen dem Bischof und Bürgermeister von Assisi.

Diese Prinzipien wurden von vielen seiner Zeitgenossen anerkannt, von den Päpsten allerdings verworfen, durch die franziskanische Mission jedoch verbreitet. Papst Honorius III. hatte bereits 1223 das Askeseideal und den Gleichheitsgrundsatz von Franziskus abgeschwächt und seine Ordensregel, sich gegen Ungerechtigkeit und Unfreiheit zu wehren, herausgestrichen. Papst Gregor IX. erklärte dann das Testament und die Regel des Franziskus für die Franziskaner nach dessen Tod als ungültig, betraute die Dominikaner und Franziskaner mit der Inquisition und brach auf diese Weise die Idee der Freiheit, des Friedens und der Gleichheit von Franziskus, woran der Orden innerlich fast zerbrochen wäre. Allerdings ließen sich diese Ideen im Orden nicht völlig unterdrücken. Manche der Franziskaner sieht man noch im 20. Jahrhundert an der Seite der Befreiungsbewegungen und den heutigen Papst Franziskus an der Seite der Kriegsgegner.

Den Gleichheitsgedanken verfolgte Meister Johannes Eckhart als Dominikanermönch weiter, als er den göttlichen Funken in jedem Menschen sah und daher die Vermittlung der Priester als überflüssig, was ihm die Inquisition einbrachte. Vor Ende des Verfahrens starb Eckhart 1328. 

Den antikirchlichen Impuls führten die Bauern in ihren Bewegungen im 15./16. Jahrhundert weiter. Seit 1348 zieht sich eine Agrarkrise bis ins 16. Jahrhundert hin. Damit einher geht die Verarmung und Unzufriedenheit der Bauern und Handwerker, die sich am exponiertesten in den Vorstellungen des Hirten und Pfeifers Hans Böheim äußerten, als er jegliche kirchliche und weltiche Obrigkeit ablehnte, die Vision verkündete, dass diese künftig arbeiten müssten und dass alle genug hätten, wenn deren Güter verteilt würden, dass sie ihr Gemeineigentum zurückhaben würden. 1476 nehmen der Erzbischof von Mainz, Bischof von Würzburg und der Herrn von Niclashausen ihn gefangen, enthaupten zwei seiner Mitstreiter und verbrennen ihn als Ketzer. 

Aber noch 1493 berichtet Hartmann Schedel in seiner „Weltchronik“ von dem Ereignis durch einen Kupferstich, der die Identifikation mit dessen Vorstellungen und die Unschuld des Predigers Hans Böheim dokumentiert. Die Resonanz auf die antifeudalen Predigten markiert eine Wende von lokalen, auf Einzelforderungen beschränkten Aktionen der vergangenen Zeit zu breiteren, gegen das Feudalsystem gerichteten Bewegungen. Die Notwenigkeit, den antifeudalen Kampf künftig konspirativ vorbereiten und organisieren zu müssen, schildert Albrecht Dürer durch das Zusammenstehen und –sprechen von einem bewaffneten Bauer, Ritter und Handwerker. 

Seit 1503 setzte Joss Fritz, den Dürer als einen verwegenen, dynamisch bewegten, pfiffigen jungen Mann präsentiert, den Kampf durch die Bundschuhbewegung fort. Allerdings sind nun nicht mehr Kaiser und Papst angegriffen, wohl aber in seinen 14 Artikeln viele seiner Forderungen aufgenommen, die zum Teil mit den Memminger Forderungen überein-stimmen. Mit den Menschenrechtsforderungen identifiziert sich Dürer, der sie in einem Blatt wiedergibt, das wie eine Ratssitzung aussieht. Joss Fritz kann, obwohl die Bundschuh-bewegung mehrfach verraten wird, unerkannt in die Schweiz ausweichen. Aber nach 1525 gibt es keine Nachrichten von ihm.

Im 16. Jahrhundert werden die gerechten Forderungen nach Aufhebung der Leibeigenschaft, Gemeineigentum, Gleichheit vor Gericht, Freiheit von Unterdrückung, zu hohen Steuern, Abgaben und Diensten von Philipp dem Großmütigen und anderen Fürsten in Thüringen, Fulda und Bad Hersfeld militärisch erstickt.

Die Niederlage der Bauern schildert Dürer bereits 1515 in seiner Federzeichnung zum Gebetbuch Kaiser Maximians I. mit seiner weinenden Bäuerin. Sie hat zwar noch eine Spindel, aber kein Schaf, um Wolle spinnen zu können, sie besitzt zwar noch einen Wasser- und einen Milchkrug, aber keine Kuh, deren Euter sie melken könnte. Ein Dach über ihrem Kopf fehlt ebenso. Das war die Lage der Bäuerinnen, die ihres Hab und Gutes durch die Obrigkeit beraubt waren.

Die Gedanken der Freiheit und Gleichheit hat Thomas Morus in England in seiner Schrift „Utopia“ von 1516/1518 fortgesetzt. Darüber berichtete Dr. Gert Meyer in vier Teilen: 1. Weltreisende als Voraussetzung für die Rahmenhandlung der Utopia, 2. Biographie des Thomas Morus, 3. Kritik an der Gesellschaft seiner Zeit, 4. Das gute Leben auf Utopia, 5. Widersprüche im Werk.

Die Ausführungen knüpften an das erste Referat an, weil es inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen dem Denken und Handeln von Franziskus einerseits und Thomas Morus existieren. Beiden war ein herrschaftskritischer Impulls gemein; beide polemisierten gegen die wachsende Spaltung zwischen Arm und Reich; beide dachten darüber nach, wie das traurige Los der vielen Armen behoben werden könnte; beide wollten Wege aufzeichnen, wie sich die unteren Bevölkerungsgruppen gegen die Willkür der Oberen behaupten könnten – etwa durch gemeinsame Aufklärung, Organisation und Aktion. 

Thomas Morus entwickelt in der Utopia ein Gegenbild gegen die Gesellschaft seiner Zeit; gleichzeitig zeichnet er ein Hoffnungsbild, in dem er im Detail beschreibt, wie eine herrschaftsfreie Gesellschaft organisiert werden könnte. Seine Hauptpunkte sind: Aufhebung des privaten Eigentums an Land und Produktionsmitteln; gleiche Verteilung der Güter; gemeinschaftliches Arbeiten und Leben in großen städtischen und ländlichen Gemeinschaften; Reduzierung der täglichen Arbeitszeit auf 6 Stunden und 5 Tage-Woche, in denen die Gesellschaft auf die Produktion von Luxusprodukten verzichtet und gleichzeitig alle Arbeitsfähigen zu gesellschaftlicher Tätigkeit aufgefordert sind. 

Morus markiert aber auch Schwachpunkte seines Gesellschaftsmodells: So verzichten die Utopier nicht auf die Arbeit von Sklaven (diese rekrutieren sich aus „Verbrechern“ auf der Insel Utopia, aus frei gekauften, zum Tode verurteilten Menschen in den Nachbarstaaten sowie vor allem aus Freiwilligen, die als ehemalige Tagelöhner von auswärts in die besseren Arbeitsverhältnisse in der Utopia einziehen wollen). 

Ein zweiter dunkler Punkt in Utopia: hin und wieder wird Krieg geführt, auch wenn die Utopier generell das Kriegshandwerk ablehnen. Kriegsgründe können sein: Angriffe fremder Mächte auf das eigene Territorium; Hilfe für befreundete Staaten, falls diese angegriffen werden; Drangsalierung der eigenen, im Ausland tätigen Bevölkerung der Utopier. – Abschließend wurden die Wirkungen der Schrift von Thomas Morus skizziert: 

1. innerhalb der katholischen Kirche, die Thomas Morus 1935 heiligssprach; 

2. in der internationalen Arbeiterbewegung (im „Kapital“ von Karl Marx wird im 24. Kapitel immer wieder Thomas Morus zitiert. Auch Karl Kautzky und Eduard Bernstein haben Thomas Morus als einen bedeutenden Frühsozialisten gewürdigt); 3. hat der Staatsroman von Thomas Morus zahlreiche weitere literarische Produktionen angeregt: z.B.: den „Sonnenstaat“ von Campanella und „Neuatlantis“ von Francis Bacon. Nicht zu vergessen ist auch der deutschsprachige Barockroman „Die Insel Felsenburg“ von Gottfried Schnabel. Wie diese unsere Veranstaltung gezeigt hat, werden bis heute über die weit in die Zukunft weisenden Ideen des Thomas Morus diskutiert – denn nach wie vor leben wir in einer Ungleichheitsgesellschaft und stehen vor der Aufgabe, darüber nachzudenken, wie die großen, teilweise wachsenden Unterschiede zwischen Arm und Reich reduziert werden können.


Zur Methode: Der Vortrag von Ilina Fach war mit einer Installation von einem Ausschnitt aus dem Sing-Hörspiel zur Hexenverfolgung „Zauber der Freiheit. Drama der Soldatenwitwe Wirwettzen“ mit Musik, Graphiken und Gemälden von Künstlern aus dieser Zeit kombiniert. Dadurch wurden alle Sinne der Zuhörer und Zuschauer angesprochen. Im Anschluss daran gab es eine angeregte Diskussion und die Installation wurde als eine inhaltliche Bereicherung empfunden. Inhaltlich wurde über die Kontinuität und Diskontinuität der Utopie gesprochen.

Technisch und vom Zeitumfang der Vorbereitung war es aber sehr aufwendig, die Kunst-Installation herzustellen. Die Fotos zu Kunstwerken mussten erst aus dem Internet gezogen oder gescannt und dann in ein JPG verwandelt werden. Im Hörspiel mussten die Passagen zur frühbürgerlichen Revolution herausgesucht werden, anschließend der ganze Teil in ein Schnittprogramm übertragen, gekürzt und mit den Bildern kombiniert werden, wobei darauf geachtet werden musste, wie lange das Bild jeweils an der Wand zu sehen sein sollte. Für die Vorträge und Installation im erner mussten PC, Leinwand und Beamer beschafft, installiert und abgebaut werden und während des Vortrags eine Person die Bilder je nach Vortragspassage anhalten.


Das Seminar hat wie im Programm vorgesehen stattgefunden


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Bildungsveranstaltung am:    11.06.2022

in (Ort und Tagungsstätte):      Marburg, Schülerpark


zum Thema:     „Hoffnungsbilder vom Frieden. Frühe und aktuelle Utopien.“ 

Teil 2:  „Der lange Weg von Franz von Assisis Friedensidee 

bis zum Marburger `Verblendungsdenkmal`


Darstellung der Inhalte und Methoden sowie kritische Beurteilung des Seminars durch den/die Seminarleiter/in:


Ilina Fach erläuterte erst die verschiedenen Arten von Friedensverträgen seit der Antike, dann die Friedensideen von Friedensstiftern und als letzten Teil die Gründe, die dazu führten, dass Marburg trotz seiner zahlreichen Kriege nur zwei Friedensdenkmäler vom Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhundert hat. 

Der Friedensvertrag zwischen ägyptischen Pharao Ramses II. und dem hethitischen Großkönig Hatusili III. war ein Nicht-Angriffspakt, ein Beistandspakt und regelte soziale Fragen des Arbeitskräfte-, Flüchtlings- und Gefangenenaustausches so, dass hier die ersten Grundlagen für Menschenrechte gelegt wurden. 

Andere Friedensverträge hatten nur dann eine Chance, länger anzuhalten, wenn beide Parteien einander auf gleicher Ebene begegneten, eine gemeinsame Sprache hatten, ein Waffenstillstand durchgeführt wurde, gemeinsame Handelsinteressen vorhanden waren, interdynastische Ehen geschlossen wurden. Sie waren nicht erfolgreich, wenn sie aus taktischen Gründen geschlossen wurden, ohne zu einem Interessensaugleich zu finden. Waren die Mittel erschöpft, aber die Krieg führenden Parteien nicht zu einem Ausgleich bereit, entsandten sie Diplomaten. Das konnten auch Frauen sein, wie beim Friedensvertrag von Cambrai. 

Der Westfälische Frieden beendete 1648 den 80 Jahre dauernden Guerrilla-Krieg der Niederänder gegen die Spanier, der auf deutschem Boden als Stellvertreterkrieg geführt wurde. Dass der Friede zustandekam gibt für die Beendigung des heutigen Kriegs in der Ukraine Hoffnung. Denn die katholischen und evangelischen Unterhändler verhandelten in zwei Städten, z.T. wollte die eine Partei mit der anderen kein Wort wechseln. Jeder Diplomat musste darauf achten, die Vormachtstellung des eigenen Fürsten zu betonen. Die Beschlüsse eine Tages mussten an die Fürsten per Depesche gebracht, von diesen bejaht werden, um sie dann der Gegenseite vorzulegen, die ähnlich verfuhr. Während des Friedensschlusses wurde weiter Krieg geführt, weil jede Seite ihre Position ausbauen wollte. 

Franz von Assisi machte im Gespräch mit dem ägyptischen Sultan Al Kamil vor, dass kein Kreuzzug aus religiösen Gründen geführt werden soll, sondern das Wort überzeugend wirken sollte. Im Streit zwischen dem Bischof und Bürgermeister von Assisi setzte er ein Lied mit der Zeile des Verzeihens als Botschaft ein und ihm gelang es, den Streit zu schlichten. Friedrich II. von Hohenstaufen führte den einzigen erfolgreichen, weil unblutigen Kreuzzug gegen Sultan Al Kamil. Aber Neid, Intoleranz und Hochmut der Christen machten den Erfolg zunichte.

Dossis Allegorie der Pax und Justizia belegen im 16. Jahrhundert, dass Frieden in Italien als Abrüstung und Zerstörung von Waffen mit Gerechtigkeit und gutem Leben einhergeht. Die Klage des Friedens von Erasmus von Rotterdam fordert vom Fürsten, dass er lieber auf Herrschaft, Macht und Haus verzichten solle, als Krieg zu führen, damit Wirtschaft, Soziales und Kultur gedeihen können. Kirche und Militär sollen getrennt sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen die UN-Menschenrechte auf der Grundlage der Erkenntnis, dass die Vereinten Nationen die systematische Vernichtung durch Nationalsozialisten verhindern wollten. Diese Rechte unterzeichnete auch die Bundesrepublik. Sie werden fortgesetzt durch die Agenda 2030, welche die Umwelt-, Klima-, Flüchtlingssituation aufgrund von Kriegen mitbedenkt.

In Marburg kamen trotz eines 25-, 30- und 7-jährigen Krieges im 16.,/17. und 18. Jahrhundert keine Antikriegsdenkmäler zustande. Erst verhinderte die Armut Antikriegsdenk-mäler. Das war auch nach der Niederschlagung der Revolution nicht anders. Mit der Annexion Hessens durch Preußen wurde Marburg voon 1966-1990 Garnisonsstadt. Die konservativen bis reaktionären Bürger oder Bürgerinnen (52% wählten 1932 die Nationalsozialisten) glaubten offenbar, dass es notwendiger sei, das Militär in der Stadt unterstützen zu müssen, das ein Faktor für den Konsum darstellte. So haben wir ein Denkmal der Jäger, die gefallen waren, im Schülerpark.

Maximiliane Jäger-Gogol erläuterte die blutige Kolonialpolitik der Marburger Jäger und ging dann auf die aktuelle politische und ästhetische Funktion des Verblendungsdenkmals ein.

Seitdem Marburg 1866 preußisch wurde, erhielt die Stadt neue Impulse in Richtung der Erweiterung der Universität, aber vor allem wurden die militärischen Infrastrukturen massiv ausgebaut: im heutigen Südviertel entstand ein umfangreicher Kasernenkomplex um den „Kempfrasen“ herum. Dieser Komplex wurde vor dem Ersten Weltkrieg immer erweitert, ebenso in der NS-Zeit: Bau des Kompexes der Tannenbergkaserne auf den Hügeln der Stadt Marburg. Und hinzu traten die zahlreichen Krieger- und Soldatendenkmäler, von denen es überall im Stadtgebiet und auf den Friedehöfen verstreut, mehr als ein Dutzend gibt. Bis 1990 blieb Marburg Garnisonsstadt und bis zu diesem Zeitpunkt wurde in der Stadtöffentlichkeit kaum jemals über diese Militärstruktur diskutiert. 

Aber es gab, aus der Studentenbewegung entstanden, die Initiative zur Errichtung eines Deserteursdenkmals – in Erinnerung an die zahlreichen Deserteure, die noch kurz vor Kriegsende 1945 im Marburger Raum erschossen worden sind. Dieses eindrucksvolle Denkmal befindet sich heute in der Frankfurter Straße inmitten des früheren Kasernenkomplexes. Dann konzentrierte sich die städtische Diskussion auf die Geschichte und die Taten der Marburger „Jäger“, einer Militäreinheit, die in verschiedenen historischen Situationen eine Blutspur hinterlassen hat: etwa bei der Niederwerfung der Pariser Commune 1871, des chinesischen Boxeraufstands 1900/1901, des Hereroaufstandes 1904 in der Deutschen Kolonie in Südwestafrika, der Widerstandsbewegung im belgischen Dinan 1914, der Streikbewegungen in Oberschlesien 1919; die Marburger Jäger agierten auch im Hintergrund der Ermordung der Mechterstätter Arbeiter, welche die Republik 1920 verteidigen wollten. Diesen Marburger Jägern wurde 1923 ein großes Monument im Schülerpark errichtet, das in den folenden Jahren immer wieder Versammlungsort der antirepublikanischen Rechten war. 

Nach dem Jahr 2000 fanden in der Marbuger demokratischen und antimilitaristischen Öffentlichkeit Diskussionen um dieses Denkmal statt. Es wurde gefordert, es in ein Mahnmal für den Frieden umzuwandeln. Diese Anregungen nahm das Stadtparlament auf und schrieb einen künstlerischen Wettbewerb aus. Es siegte schließlich der Entwurf von  Heiko Hühnerkopf für ein Verblendungsdenkmal, das das alte Kriegerdenkmal verblenden sollte und zugleich auf die militärische Verblendung hinzuweisen trachtete. 

Gegen den Widerstand der recchtskonservativen, militärnostalgischen Teilöffentlichkeit wurde das Denkmal als Friedensdenkmal 2021 eingeweiht. Das Kunstwerk besteht aus zweireihigen Metallgittern, durch die ein Blick auf das alte Kriegerdenkmal in verfremdeter Form freibleibt. Im Inneren der Metallstäbe befinden sich kleine Hinweistafeln mit Informationen über die Untaten der Marburger Jäger. Das Denkmal ist begehbar und regt zum Nachdenken über die Geschichte und die Folgen von Kriegen an. Frau Jäger-Gogol konzentrierte sich auf die Baugeschichte und die künstlerisch-politischen Intentionen des Kunstwerkes, das nun einen kritischen Gegenakzent gegen die zahlreichen Kriegsdenkmäler in der Stadt darstellt. Es gab auch Gelegenheit zu weiteren Diskussionen und Anregungen, denn wir suchen alle nach einer Welt ohne Krieg.


Das Seminar hat wie im Programm vorgesehen stattgefunden


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