Krusenstern

Bildungsveranstaltung am:14.10.2022 

 

in (Ort und Tagungsstätte):  Musikschule KLASSIKA e.V., Bahnhofstr. 6, 35037 Marburg 

 

zum Thema:  Adam Johann von Krusenstern und die erste russische Weltumsegelung 

Referent: Dr. Gert Meyer 

musikalische Umrahmung: Kaori Miashita und Inta Serebro

Zielgruppe: Politisch-historisch interessierte und engagierte Mitbürgerinnen und Mitbürger, Zuwanderer und Deutsche mit historisch-politischen Interessen 

 

Lernziel: Erarbeitung neuer Blickwinkel auf die Entdeckungsgeschichte durch Heranziehen neuer Quellen und Methoden 

 

Darstellung der Inhalte und Methoden:


  Der Referent untersuchte die Vorgeschichte, den Verlauf und die Resultate der ersten russischen Weltumsegelung durch den Kapitän Krusenstern, die 1803-1806 stattfand. Er beschrieb zunächst den beruflichen Werdegang Krusensterns, der aus einer deutsch-baltischen Familie stammte und mit jungen Jahren in die russische Marine eintrat. Wesentliche Impulse erhielt er durch seinen sechs Jahre langen Dienst auf englischen Schiffen, die ihn bis nach Nordamerika, Westindien, Südafrika, Indien, Malakka und Südchina (Kanton) führten.  

Krusensterns eigene Weltumsegelung verfolgte vier Ziele: 1. Förderung des russischen Pazifikhandels, speziell der Russisch-Amerikanischen Kompanie; 2. Aufbau von Handelsbeziehungen mit Japan; 3. Wissenschaftliche und nautische Erforschung des nordpazifischen Raumes; 4. Förderung des russischen Ansehens als einer Seemacht. Die von Krusenstern formulierte Denkschrift aus dem Jahr 1802 wurde von der Petersburger Regierung akzeptiert, so dass er im Folgejahr starten konnte. Sein Schiff „Nadeshda“ wurde in England gebaut; die Besatzung bestand nicht nur aus Russen, sondern auch aus Seeleuten und Wissenschaftlern westeuropäischer Länder. Zum Schluss wurde dem Kapitän auch noch eine Gesandtschaft aufgedrückt, die sich aus Platzmangel und wegen der Intrigen während der Reise als äußerst unangenehm erwies.  

Bild: Adam Johann von Krusenstern vom: de.wikipedia.org

Ausführlich ging der Referent auch auf die Verproviantierung ein, die die klassischen Seefahrerkrankheiten, wie Skorbut, vermeiden sollte. Deshalb wurden Sauerkraut, Frischgemüse, Senf, Preißelbeeren und lebende Tiere – Hühner, Gänse, Schweine – mitgenommen. Dann notierte der Referent die einzelnen Stationen der Seereise: Teneriffa – Brasilien – Kap Hoorn – Polynesien / Marquesas – Hawaii – Japan – Kamtschatka – China/ Kanton und Macao – Indonesien – Kap der Guten Hoffnung – St. Helena – Kopenhagen – Petersburg.  

Es gelang Krusenstern auf seiner Forschungsreise zahlreiche neue Inseln und Küstenlinie zu entdecken und zu kartographieren; dies gilt besonders für den Raum um die Insel Sachalin. Darüber hinaus sind seine Beschreibungen des Alltagslebens der von ihm besuchten Inseln von hohem Interesse. Dies gilt insbesondere für seinen Besuch in Nukahiwa/Polynesien. 

Krusensterns Beschreibung der sozialen Verhältnisse dieser Inselbewohner ist von historischer Bedeutung, weil die von ihm besuchten Inseln später einer rabiaten Europäisierung und Christianisierung unterworfen wurden. So ist seine Schilderung beispielsweise der - Glück, Wohlstand und Liebe symbolisierenden - Körpertätowierungen, der sozialen Strukturen, der Arbeitsverhältnisse, der Gesundheit, der Schriftlosigkeit, der Geschlechterverhältnisse und vieler anderer Bereiche bis heute für Ethnologen von großem Interesse. Aufgrund des harten Lebens der Matrosen und der Ungewissheit ihres Schicksals angesichts von Stürmen, Taifunen, Eisbergen und tropischen Regengüssen meinten viele von ihnen, eine Tätowierung des Körpers würde ihnen die glückliche Rückkehr ermöglichen. So richtete ein Polynesier sein Tatoostudio auf dem Schiff ein. Krusenstern und seine Besatzung sahen die Lebensverhältnisse der Polynesier als eine Art Gegenmodell und utopische Gegenwelt zu den beengten, autoritären, hierarchisierten und durchnormierten Verhältnissen im damaligen Europa.  

In seinen Bericht über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse des Volkes der Ainu in Nordjapan und auf der Insel Sachalin bedauert er die Schicksale dieses Volkes. Dieses vor allem von Jagd und Fischfang lebende Volk wurde durch die expansiven Lebensformen der Japaner und auch der Russen in höchste Bedrängnis gebracht. Krusenstern sah sehr wohl die Schatten der Europäisierung jener pazifischen Regionen. Dies gilt auch für die kritische Selbstreflexion aus der Feder eines der mitfahrenden Offiziere, Hermann von Löwenstern, der in seinem Tagebuch notierte:  

„Es ist eine wahre Schande, dass die Europäer, obgleich sie sich nicht wenig mit ihrer Aufklärung und Bildung brüsten, sich allgemein so schlecht gegen die Eingeborenen betragen, wo sie Kolonien errichtet haben. In Europa predigen sie Freiheit und Gleichheit und in diesen entfernten Regionen, wo sie das Glück und die Zufriedenheit natürlicher, unverdorbener Menschen gründen könnten, sind sie die Tyrannen. Keine Nation hat hier einer anderen etwas vorzuwerfen. So wie die Spanier und Portugiesen sich in Amerika betragen, so benehmen sich die Engländer und Franzosen in West- und Ostindien. Ebenso und am allerhärtesten ist das Betragen der Holländer in Ceylon, Batavia und auf den Molukken und der Russen auf den Aleutischen Inseln und an der Nordküste Amerikas. Überall erzählt man sich eine Menge Gräueltaten und der Tyrannei der Europäer.“ 

Dies ist eine bemerkenswerte Selbstkritik der Teilnehmer dieser Expedition, die sich den Freiheitsbemühungen der Epoche der Aufklärung verbunden fühlten. Auch Krusenstern selbst hat die europäische Entdeckung und die ihr folgende Eroberung umfangreicher außereuropäischer Territorien mit großer Distanz und auch Ablehnung betrachtet. 

Nach der glücklichen Rückkehr des Schiffes (es war kein Verlust eines Menschenlebens zu beklagen) widmete sich Krusenstern der wissenschaftlichen Aufarbeitung seiner Weltreise. Sein Reisebericht erschien bald auch in deutscher, englischer und französischer Übersetzung und fand in Westeuropa großen Widerhall. In Russland selber stieß Krusensterns Karriere jedoch auf mannigfache Hindernisse; Grund hierfür waren u.a. Konkurrenz und Neid. Aber seine Reise fand zahlreiche Nachfolger – in den kommenden Jahrzehnten bis zum Ende der Großsegelschiffe – wurden weitere 27 russische Weltumsegelungen organisiert, u.a. auch von Otto von Kotzebue (1788-1846).  

Heute erscheint uns Krusenstern als einer der Begründer der wissenschaftlichen Meereskunde/ Ozeanographie. Seine umfangreichen Messungen der Wassertemperatur, des Salzgehaltes der Meere, der Wirkungen von Ebbe und Flut, des Einflusses der Eismassen des Nordmeeres auf das Klima, des Luftdrucks, der Niederschläge, der Wolken- und Nebelbildung, des Wellengangs, der Tropenstürme (sein Schiff geriet selber einmal in einen schrecklichen Taifun, aus dem es nur schwer beschädigt entkam). Krusenstern sah die vielfältigen Wechselwirkungen der Naturprozesse, er erkannte die stetige Veränderung, Bewegung, Verwandlung der Natur. Hier war er denkverwandt mit Alexander von Humboldt. Für beide war die Erde ein lebendiges System von großer Vielfalt – und von großer Verletzlichkeit. 

Methode: Kern der Methode war die historisch-kritische Analyse der umfangreichen Reisebeschreibung Krusensterns, aus der einiges Bild- und Kartenmaterial an die Teilnehmer verteilt wurde, und der Tagebücher seiner Offiziere. 

Eine Besonderheit des Abends waren die beiden längeren musikalischen Darbietungen einer japanischen und ukrainischen Künstlerin. Sie spielten für uns unbekannte Flöten- und Klavierstücke von japanischen Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts. Diese für uns exotisch und zugleich anregend empfundenen Darbietungen waren ein gelungener Akzent. Die Musik, die sich inhaltlich auf das Meer, seine ewige Bewegung und Veränderung bezog, leitete zunächst den Vortrag, dann jenen Abschnitt des Vortrags ein, der die russisch-japanischen Beziehungen Anfang des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand hatte.  

Für den Erfolg des Abends spricht, dass es zu verschiedenen Themen, auch zu den musikalischen Darbietungen Diskussionsbeiträge gab, die zugleich anregten, ähnliche Veranstaltungen fortzuführen. 


Das Seminar hat wie im Programm vorgesehen stattgefunden 


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